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Steuern statt Gebühren: Unabhängigkeit der öffentlichen Medien in Gefahr?

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Frankreich hat die Rundfunkgebühr abgeschafft, und auch in Österreich steht die Gebühr vor dem Aus. Zur Diskussion steht in beiden Ländern eine Steuerfinanzierung. Ein Blick nach Skandinavien zeigt, dass eine Steuerfinanzierung die Unabhängigkeit des öffentlichen Rundfunks nicht gefährdet, wie dies allenthalben befürchtet wird.

138 Euro im Jahr zahlen heute Haushalte in Frankreich für die Rundfunkgebühr. Damit finanzieren sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, bestehend aus France Télévisions, Radio France, France Médias Monde mit RFI und France 24, Arte, TV5 Monde sowie das Institut national de l’audiovisuel (Ina). Doch damit ist bald Schluss: Ende Juli hat das französische Parlament beschlossen, die Rundfunkgebühr abzuschaffen – und damit ein zentrales Wahlkampfversprechen von Emmanuel Macron eingelöst. Der Staatschef setzt seit seinem Amtsantritt 2017 auf ein steuerfinanziertes Modell. Ein völliger Systembruch ist das nicht, denn schon heute fliessen 650 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt zu den öffentlichen Sendeunternehmen. Mit dem Wegfall der Rundfunkgebühr, die bislang mit der ebenfalls abgeschafften Wohnsteuer eingezogen wird, entsteht jedoch eine Finanzierungslücke von 3,2 Milliarden Euro. Woher das Geld künftig kommen und ob dafür eine neue Steuer eingeführt werden soll, ist umstritten und noch nicht entschieden.

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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Frankreich steht durch die Konkurrenz von Streaming-Diensten und Privatsendern (durch die Fusion von TF1 mit M6) unter enormem (Kosten-)Druck. Finanzminister Gabriel Attal kündigte an, die Gebühren durch einen Teil der Mehrwertsteuer zu kompensieren, was jedoch vor allem die Linke ablehnt, weil dies sozial ungerecht sei. So kritisierte etwa der sozialistische Abgeordnete Arthur Delaporte, dass die Gebühr, von der bereits heute Menschen mit Behinderung und Sozialhilfeempfänger befreit seien, mit der Mehrwertsteuer durch «eine ungerechte Steuer» ersetzt würde, die zudem auch von jenen bezahlt werden müsste, die gar keinen Fernseher bei sich zu Hause hätten. Derweil will Olivier Marleix, Fraktionschef der konservativen Républicains in der Nationalversammlung, das öffentliche Radio und Fernsehen durch eine Besteuerung von Online-Werbung finanzieren, die Mehreinnahmen von acht bis neun Milliarden Euro jährlich in die Staatskasse spülen soll. Wie eine solche Steuer aber rechtlich umgesetzt werden kann, ist unklar. Auch politisch scheint eine Werbesteuer derzeit wenig Chancen zu haben, weshalb es wohl auf eine Finanzierung durch die Mehrwertsteuer hinauslaufen wird. Im Gegensatz zu einer Haushaltsabgabe wäre dies ein weniger schmerzvoller Eingriff in die Portemonnaies der Bürger.

Während der öffentliche Rundfunk von der Mehrwertsteuer profitieren soll, werden die Bezahlsender zur Kasse gebeten. Um die Einnahmen aufzubessern, belastet der französische Fiskus Sender wie Canal+ stärker als bisher. Sie profitieren nicht mehr von einem ermässigten Satz von zehn Prozent, sondern müssen künftig den Regelsatz von 20 Prozent Mehrwertsteuer bezahlen. Das beschert dem Staat zusätzliche Steuereinnahmen von geschätzt 200 Millionen Euro – Geld, das auch für die Finanzierung des öffentlichen Rundfunks verwendet werden könnte.

Doch die öffentlichen Sender sollen auch sparen und effizienter arbeiten. Dazu hat der Senat im vergangenen Juni einen 300 Seiten langen Bericht mit Reformvorschlägen vorgelegt. So sollen die öffentlich-rechtlichen Sendeunternehmen zu einem Supersender fusionieren und durch gemeinsame Newsrooms Synergien gewinnen. Wenn Worte wie «Synergien» oder «Newsroom» fallen, läuten bei vielen Journalisten die Alarmglocken. Oft bedeuten sie nichts anderes als Sparen. Bereits 2017 hat das Macron-Bündnis den Rotstift angesetzt und im Zeitraum von 2018 bis 2022 190 Millionen Euro gestrichen. Der Sparmassnahme fiel unter anderem der Sender France Ô zum Opfer.

In Frankreich schwingt auch immer der Verdacht mit, dass sich die Exekutive durch einen geschrumpften Rundfunk einer kritischen Stimme entledigen will.

Und auch jetzt sieht man Grund zur Beunruhigung. Die Journalistengewerkschaften haben Ende Juni bereits einen landesweiten Streik organisiert. Das Personal sieht die Unabhängigkeit der Presse in Gefahr, weil durch eine Steuerfinanzierung die Politik Druck auf die Redaktionen ausüben und Einfluss auf die Berichterstattung nehmen könnte.

Der Verdacht ist nicht ganz unbegründet in einem Land, wo das Verhältnis zwischen Politik und Medien traditionell sehr eng, um nicht zu sagen klientelistisch, ist. Zwar hat sich Staatspräsident Macron für die Rettung des Senders «France 4» stark gemacht, der schon auf der Streichliste stand. Seine aus dem Kontext gerissene Aussage, die Öffentlich-Rechtlichen seien eine «Schande für die Republik» – er meinte damit vor allem die verkrusteten Strukturen und die teure Programmplanung – hallt jedoch immer noch nach. Dass Macron Interviews lieber im Privatfernsehen gibt – man denke an die etwas zu pompös geratene Inszenierung auf dem Flugzeugträger Charles-de-Gaulle, die zur besten Sendezeit auf TF1 lief und nach Hofberichterstattung aussah – nehmen ihm die Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks übel. Insofern schwingt auch immer der Verdacht mit, dass sich die Exekutive durch einen geschrumpften Rundfunk einer kritischen Stimme entledigen will.

Wie in Frankreich steht auch in Österreich die Rundfunkfinanzierung zur Debatte. Der Verfassungsgerichtshof hat im Juli entschieden, dass die Gratisnutzung des ORF im Internet verfassungswidrig ist und damit einer Klage des ORF stattgegeben. Bislang mussten Konsumenten ohne Radio- oder TV-Gerät keine Rundfunkgebühr (GIS) bezahlen. Durch diese sogenannte Streaming-Lücke entgehen dem ORF nach eigener Berechnung 53 Millionen Euro pro Jahr. Nach der gleichen Rechnung könnte sich der Ausfall durch das Streaming bis 2025 auf 119 Millionen Euro summieren.

Das Verfassungsgericht hat den Gesetzgeber nun mit einer Neuregelung des Programmentgelts beauftragt, das mit 650 Millionen Euro jährlich rund zwei Drittel des ORF-Budgets ausmacht (der Rest kommt unter anderem aus Werbeeinnahmen und Gewinnausschüttungen aus Lotterien). Der ORF braucht also ein neues Finanzierungsmodell. Und darüber gehen die Meinungen auseinander. Während die Grünen und die liberalen NEOS für eine Abschaffung der GIS und die Einführung einer Haushaltsabgabe wie in Deutschland und der Schweiz plädieren, fordert die rechte FPÖ eine Finanzierung aus dem Staatshaushalt. SPÖ und ÖVP wollen am Gebührenmodell festhalten.

«Gebühren reduzieren die Möglichkeit, finanziellen Druck auf öffentlich-rechtliche Medien auszuüben»
Leonhard Dobusch, Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied ZDF-Verwaltungsrat

Der österreichische Wirtschaftswissenschaftler und ZDF-Verwaltungsrat Leonhard Dobusch hält eine Steuerfinanzierung für heikel. Er fürchtet eine zusätzliche Möglichkeit parteipolitischer Einflussnahme auf öffentlich-rechtliche Medien: «Rundfunkbeiträge ermöglichen eine Finanzierung von öffentlich-rechtlichen Medien, die nicht Gegenstand jährlicher Budgetverhandlungen mit der jeweils aktuellen Regierung unterworfen ist», teilt er auf Anfrage der MEDIENWOCHE mit. Eine Gebühr alleine reiche zwar noch nicht aus für einen staatsfernen, unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sei aber «eine wesentliche Voraussetzung». Sie reduziere «die Möglichkeit, finanziellen Druck auf öffentlich-rechtliche Medien auszuüben», so Dobusch.

Anders sieht dies der österreichische Medienunternehmer und ehemalige NEOS-Abgeordnete Niko Alm. In einem Gastbeitrag für den «Standard» plädiert er für eine Steuerfinanzierung. Dass damit die Gefahr der staatlichen Einflussnahme zunehme, verneint er: «Die Regierung kann immer eingreifen – schon jetzt mit Gebühren.» Im Zuge einer Neuordnung der Gremien und Finanzierung könne dieser Einfluss sogar verringert werden. Ein öffentlich-rechtliches Medienhaus gehöre zum Wesen einer modernen liberalen Demokratie und müsse «konsequenterweise staatlich finanziert werden», so Alm.

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Ein Blick nach Skandinavien zeigt: Eine unmittelbare staatliche Finanzierung des öffentlichen Rundfunks gefährdet nicht zwangsläufig dessen Unabhängigkeit. In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF) sind die Plätze 1 bis 3 von Norwegen, Dänemark und Schweden belegt – alles Länder, in denen die Rundfunkgebühr abgeschafft und in eine Steuer umgewandelt wurde.

«Es ist ein Vorteil des Steuermodells, dass es einkommensabhängig ist, wohingegen die Gebühr von allen unabhängig von ihrer Einkommenssituation erhoben wurde.»
Kim Christian Schrøder, Journalismusprofessor

Der Journalismusprofessor Kim Christian Schrøder, der an der Universität Roskilde lehrt und für den Digital News Report des Reuters Institute den Länderbericht über Dänemark mitverfasst, sagt, es mache grundsätzlich keinen Unterschied, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch eine Gebühr oder Steuern finanziert wird. Die Unabhängigkeit hänge von den jeweiligen nationalen Rahmenbedingungen ab, erklärt er auf Anfrage: «In Dänemark ist bei dem neuen Steuermodell derselbe Mechanismus – das heisst die Zusammensetzung der Entscheidungsgremien – in Kraft, der auch schon in den Tagen der Gebühren aktiv war. Und auch die Gebühr wurde über mehrjährige Vereinbarungen von der Regierung festgesetzt.»

Schrøder betont auch die soziale Dimension der Steuerfinanzierung: «Es ist ein Vorteil des Steuermodells, dass es einkommensabhängig ist, wohingegen die Gebühr von allen unabhängig von ihrer Einkommenssituation erhoben wurde.» Die Gebühr sei in öffentlichen Debatten zudem häufig attackiert worden. Durch das Steuermodell sei die Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen in Dänemark «etwas vom Radar verschwunden» und es um sie herum «etwas ruhiger und friedlicher geworden».

Klar ist: Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hängt nicht nur von der Art der Finanzierung ab, sondern auch vom Vertrauen, das ihm Bürger und Regierung entgegenbringen. Skandale wie jener um die zurückgetretene rbb-Intendantin Patricia Schlesinger in Deutschland sind dazu nicht eben förderlich.

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